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Mama, erzähle mir, wie die Welt ohne mich aussah...

Aktualisiert: 10. Juni 2022

Muttertag gehört zu jenen Feier-Tagen, welcher vielen von uns mit gemischten Gefühlen beschert.

Auch ich gehöre zu diesen Menschen.


Dankbarkeit und die unfreie Wahl


Muttertag ist Fest der Dankbarkeit für das geschenkte Leben und die Zuwendung, Fürsorge und Liebe unserer Mütter. Mutterliebe ist ein einst von der Natur angedachtes, angeborenes Verhalten, was in uns Menschen verankert ist.


Eigentlich. Was aber, wenn außer das geschenkte Leben nichts weiter vorhanden war?

Ich muss immer an diejenige von uns denken, die ihre Mütter nicht einmal kennen, weil sie entweder so früh verstorben war oder sie ist irgendwann „gegangen“. Und an die viele-viele Kinder, die ihre Leben mit Gewalt und ständiger Angst antreten mussten.

Ganeshashala Kind

Können Menschen je dankbar sein, denen so viel schlimmes angetan wurde?

Ist es noch möglich, die Beziehung friedvoll zu gestalten und den Muttertag zu feiern?


Ich behaupte, Ja.


Meine Mutter


Mütter können sowohl zu der emotionalen Hauptperson als auch einer tiefst schmerzhaften Leerstelle, - bestehend aus Sehnsucht, Wut und Vermissen- werden.

Nach der Scheidung meiner Eltern, hatte meine Mutter meine Schwester und mich alleine, als Berufstätige großgezogen. Es stimmt, auch sie hatte diesbezüglich keine Wahl. Wenn in Paarbeziehungen die ehemals gemeinsamen Werte und Ziele verschwinden, löst sich diese Gemeinschaft meistens auf.


Ganeshashala Gabriella Rist als Kind
Gabriella Rist

Meine Mutter war mit der Situation

grenzenlos überfordert und hat der unverarbeitete Schmerz bei ihr pure Verzweiflung ausgelöst, Ich erinnere mich noch, wie sie abends immer geweint hatte.

Dann kamen Bitterkeit und zuletzt der Terror über uns Kinder als Ersatz für die Vergeltung an meinem Vater. Ich weiss, dass es sehr vielen Kindern ähnlich ergeht bzw. ergangen ist und dies nicht mein alleiniger Schicksal sei. „Sowas“ war und zum Teil ist, aber bis heute ein Tabuthema und gab es weder Hilfestellen noch Lösungen.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht in Europa von etwa 18 Millionen betroffenen Mädchen und Jungen aus. die als Kind und Jugendliche von Eltern misshandelt werden. Laut einer Studie des Universitätsklinikums Ulm (2017) entspricht die Zahl etwa jedem siebten Deutschen.


Sobald ich als Volljährige gehen konnte, tat ich es. Mit vielen, sehr tiefen Narben und schlimmen Erinnerungen.

Dennoch, heute, kann ich es ganz klar sehen und verstehen, wie sich die Liebe und Zuwendung meiner Mutter verwandeln konnten, Als Erwachsene sehe ich es.

Als Kind denkt man nur ans Überleben...


Kinder der Ohnmacht


Wir Frauen alle haben die Mutterrolle evolutionär in uns inne. Das zeigt sich sehr schnell, wenn plötzlich kleine Kinder in unser Leben treten, Ob durch neuen Partner als Patchwork-Familie oder durch die Neugeborenen der eigenen Geschwister. Plötzlich wird ein Gefühl wach, kümmern zu wollen und den kleinen Wesen mit Liebe zu überhäufen. Manchmal läuft aber Einiges schief.


Ungewollt auf die Welt zu kommen oder als Last die Kindheit zu verbringen, ist einem der Lebensweg zeitlang vorprogrammiert.

Die auf das Kind projizierten, negativen Gefühle der Mutter, die zur Handlung werden, sind an sich für beide schrecklich und schädlich. Die Mutter kann nicht aus der eigenen Haut und das Kind ist machtlos. Das Kind dafür verantwortlich zu machen, dass eigene Träume nicht gelebt werden können, die Paarbeziehung kaputt gegangen ist und das Leben unerträglich sei, sind Symptome von Ärger, Frust, Ohnmacht, Einsamkeit, Trauer und Schuld. Die echten, tiefsten Bedürfnisse der verletzten Mutter sind das Selbstbestimmt-zu-sein, mit einem geliebten Menschen Verbunden-zu-sein und das aufrichtig Wertgeschätzt-werden. Verstanden zu werden. Sicherheit zu haben.

All dies kann nicht von einem Kind, nur einem anderen Erwachsenen oder eigentlich, viel mehr von uns selbst erfüllt werden.

So verursachen die Symptome der Mutter durch die narrative und physische Gewalt tiefe Narben. Vernachlässigung stiftet das Gefühl der Wertlosigkeit als Mensch und liebewürdiger Wesen.

Viele von diesen Mädchen und Jungen verwenden Gewalt gegen sich selbst und leiden an Borderline, Essstörungen, oder Wutausbrüche. Im äußersten Fall kehren sie die Schuldzuweisung um, werden sie schließlich selbst zu Tätern, den Eltern oder anderen Leid und Gewalt zuzufügen.


Diese Mütter und Kinder brauchen dringende Hilfe und Liebe, um Tragödien und sehr traurige Lebensgeschichten zu verhindern.


Ein Anker im Hafen – moderne Identitätskrise


Prof. Dr. Gerald Hüther, der bekannte Neurobiologe und Hirnforscher macht uns darauf in aller Deutlichkeit aufmerksam, dass die heutige Zeit Situationen kreiert, für die noch keine allgemeinbekannten Antworten gefunden wurden und so erst die neuen Normen entstehen müssen.

Die Rolle des Mutterseins hat sich parallel – wenn nicht gar exponentiell - zur Emanzipation und Entstehung unserer Wohlstandsgesellschaft gewandelt. Wie man als Mutter heutzutage das Leben gestaltet, ist nicht mehr festgeschrieben.


Wir können uns aussuchen, ob wir Kinder bekommen möchten oder auch kinderlos glücklich sind. Wir können studieren und Mutter sein, was vor 1895 nicht einmal möglich war. Frauen konnten in Deutschland das erste Mal an der Philosophischen Fakultät der Universität Heidelberg studieren, erst seit etwa 225 Jahren. All das eröffnet uns, dass wir uns nach Belieben, der Selbstverwirklichung verschreiben können, damit unser Hunger nach Wissen, Kreativität, Selbstständigkeit und Selbstgestaltung gestillt werden. Und das ist großartig!


Nur, die neuen „Normen“ für die Art und Weise, wie eine moderne Mutterrolle auszusehen hat bzw. aussehen kann, sind nicht mit entstanden. „Ist mein Studium oder meine Arbeit wichtiger, oder muss ich lieber für die Kinder da sein?“ „Mein Chef, mein Mann oder meine Freundin?“ „Und wo bleibe ich?“ ...und...und...und...



Wer, was und in welcher Reihenfolge ist mehr oder weniger wichtig?


Bei diesen Sätzen ertappe ich mich, dass ich dabei an meine eigene Mutter denke und mich frage, ob nicht auch sie - ohne Partner - sich genau die gleichen Fragen stellen musste?

Gewisser Weise schon, Wo uns eine herkömmliche Priorisierung in die ganz klare Krise führen wird und wir anstelle dessen ganz neue Fähigkeiten entwickeln müssen, die auch dann gelten, wenn es keine Entscheidungen mehr von „entweder, oder“ sondern von „sowohl, als auch“ sind.

So müssen wir neue Modelle finden, die Mütter Kraft und echte Möglichkeiten geben, nicht unterzugehen und dies auch die Kinder als Bereicherungen erfahren dürfen und nicht als Leid.


Versöhnung – der neue Anker von heute?


Heute bin ich mir sicher, wenn meine Mutter damals Hilfe von der Gesellschaft und der Familie gehabt hätte, wäre unser Lebensweg ein anderer geworden.

Tabuisierung macht die Seele krank.

Verurteilen von Lebensereignissen und Lebensentscheidungen, Zusprechen der Opferrolle als „Verlassene“, oder die Wahl keine Kinder haben zu wollen bzw. neben Kinder sich auch eine berufliche Selbsterfahrung und Selbstverwirklichung zu wünschen, als Anmaßung zu bewerten sind nicht von Liebe und Wohlwollen geleitet.

Das ist eine Gesellschaft, die krankmacht, ohne dessen bewusst zu sein, was dadurch Mütter und Kinder angetan werden.

Versöhnung mit Erinnerungen und den eigenen Weg mit Mut und dem Vertrauen darauf, was uns ausmacht und dass es richtig ist, anzugehen, könnte ein neuer Anker moderner Zeiten sein. Sowohl als Mutter, als auch als Kind.

Mütter, die nicht mehr die Wahl haben, das Leben neu zu leben, haben immer noch die Wahl der Erkenntnis und des Versuchs, einen neuartigen Zugang zu ihren Kindern, wieder mit Liebe zu gestalten.

Und die werdenden Mütter oder in diesem Leben gar für immer kinderlosen Frauen von heute besitzen die einmalige Macht der Freiheit und Selbstgestaltung, wie genau um ihre Muttergefühle kümmern und sie diese zum Wohl anderer einsetzen möchten.

Versöhnung und Dankbarkeit für das Schöne der Vergangenheit - weil auch Schönes gab es -, warten auf uns als verlässliche Anker und können immer und immer wieder ins Wasser geschmissen werden.

Egal, ob wir uns gerade auf hohem See im Sturm oder im Hafen beim Sonnenschein befinden, wir sind nicht allein!


Muttertag - Mama, wie war das nochmal?


Stell Dir vor den kommenden Sonntag, wenn Du aufwachst, Dir zuerst etwas Zeit zu lassen.

Dann erinnerst Du Dich an eine frühe, schöne Situation mit Deiner Mutter. Wobei Du Dich verbunden mit Ihr und von Ihr geliebt gefühlt hast. Vielleicht ging es um einen Spiel oder getröstet hat Dich damals Deine Mama?

Jetzt verankere dieses Gefühl in Dir sehr tief. - Spüre es in Deinem Herzen! Das ist es, wofür Du an diesem Tag und in Zukunft dankbar sein kannst. Bewahren Sie diese Erinnerung für immer!

Weil uns Dankbarkeit das anhaltende Glück schenkt und wir uns von unserer schmerzlichen Erinnerungen lösen können.

Das Gute im Vordergrund zu behalten und Zufriedenheit zu kultivieren empfehlen nicht nur die Gründer der Positiven Psychologie, wie Martin Seligman, der amerikanischer Psychologe.

Die Yoga Sutras nennen Zufriedenheit als Quelle langanhaltendes Glücks saṁtoṣā (संतोष). Diese kann Dich vom Leid befreien und den inneren Frieden, shanti (शान्ति), schenken.

Y.S. 2.42 saṁtoṣāt-anuttamas-sukhalābhaḥ II संतोषातनुत्तमस्सुखलाभः

Weitere sogenannten Herzens-Qualitäten in uns können unterstützen, unsere autobiografisches Gedächtnis in neues Licht zu stellen.

Die Welt durch die Brille von Mitgefühl (karuṇā), Barmherzigkeit und Dankbarkeit (maitrī), Mitfreude (muditā) und Nachsicht (upekṣā) zu betrachten, verwandeln mit der Zeit Deine Wahrnehmung und das Verhalten zu Deinen Mitmenschen und Dir selbst.

Y.S. 1.33 maitrī-karuṇā-muditopekṣāṇāṁ sukha-duḥkha-puṇyāpuṇya-viṣayāṇāṁ bhāvanātaś citta-prasādanam॥ मैत्रीकरुणामुदितोपेक्षाणां सुखदुःखपुण्यापुण्यविषयाणां भावनातश्चित्तप्रसादनम् ॥३३॥

Das Gleiche haben Neurowissenschaftler an dem National Institutes of Health (NIH) durch eine Studie herausgefunden. Dankbarkeit beschert uns nicht nur mit Glückshormonen wie Dopamin, aber unser Gehirn wird verändert und wir leben länger. Insbesondere Menschen, die von klein auf viele Probleme hatten und ständig neue Herausforderungen meistern mussten, können Dankbarkeit sehr tief empfinden,

Deshalb tut es uns so gut, schöne Erinnerungen aufleben zu lassen und diese zu bewahren.

Vielleicht schaffst Du an diesem Sonntag, geleitet von Mitgefühl und Nachsicht, in Dankbarkeit an Deine Mama zu erinnern.


Und wenn es Dir gut tut und die Möglichkeit hast, sie zu besuchen oder anzurufen, dann mach es.


Für das, was mit Ihr Schön war.


P.S. Vergiss es dabei nicht, das Mitgefühl und Dankbarkeit auch für Dich zu empfinden!

 

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